LOTTA

Lotta ist ein kleines Mädchen, das trotz vieler Herausforderungen voller Lebensfreude steckt. Ihre Geschichte zeigt, wie stark sie ist – und wie viel Hoffnung und Liebe in jedem Schritt stecken.
Lotta (6) wurde scheinbar gesund geboren, verpasste aber schon bald Meilensteine in der Entwicklung, wie z.B. das Greifen nach Spielzeug. Als Säugling überstreckte sie sich stark und hatte Probleme mit dem Stillen. Sie war ein sehr schlaffes, hypotones Baby und hatte Probleme, ihren Kopf zu stabilisieren. Mit sechs Monaten machten wir uns mehr Sorgen und begannen mit einer Physiotherapie, die jedoch keine unmittelbare Wirkung zeigte. In diesem Alter begannen auch stereotype Handbewegungen. Lotta konnte sich mit 12 Monaten aufsetzen und mit 15 Monaten krabbeln. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir die leise Hoffnung, dass sie aus ihrer Entwicklungsverzögerung herauswachsen könnte, aber kurz darauf erhielten wir die genetische Diagnose einer Nonsense-Mutation von MEF2C durch eine Exom-Sequenzierung. Wir waren am Boden zerstört, aber entgegen ihrer Prognose machte Lotta mit 27 Monaten ihre ersten Schritte ohne fremde Hilfe.
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Unser tägliches Leben wird am meisten durch Lottas Unfähigkeit zu sprechen beeinträchtigt. Wir haben versucht, mit einem Tablet zu kommunizieren, aber Lotta assoziiert es mit Spielzeit und scheint nicht daran interessiert zu sein, es als Kommunikationsgerät zu benutzen. Bildkarten funktionieren bis zu einem gewissen Grad, aber noch nicht sehr effektiv. Seit ein paar Monaten hat Lotta endlich eine persönliche Assistenz im Kindergarten, diese Stelle war zwar schon lange genehmigt, konnte aber nie langfristig besetzt werden.
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Lottas Immunsystem ist ebenfalls geschwächt, was zu häufigen Krankheiten und langen Erholungszeiten führt. Normalerweise bemerken wir eine neuronale Unruhe einige Tage vor dem Auftreten der ersten Symptome. In dieser Zeit schläft sie schlecht und kann sich nicht alleine beschäftigen, z. B. mit ihren Büchern. Leider kann Lotta uns nicht sagen, was ihre Schmerzen verursacht, so dass wir ständig Vermutungen anstellen, was los sein könnte. Manchmal ist Lotta frustriert, wenn die Welt sie nicht versteht, was zu Beißen und Treten führt.
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Lotta hat Probleme mit der Beweglichkeit, kann aber an guten Tagen mit regelmäßigen Pausen bis zu einem Kilometer laufen. An anderen Tagen verweigert sie das Laufen komplett. Sie hat einen unrunden Gang und trägt Orthesen, um ihre Fußdeformitäten zu korrigieren. Außerdem fehlt ihr jegliches Gefahrenbewusstsein, was es schwierig macht, sich im Verkehr oder in Menschenmengen zurechtzufinden. Sie würde fröhlich auf eine belebte Straße rennen und sich mitten auf die Straße setzen. Wenn wir sicher und schnell von A nach B kommen müssen, sind wir auf einen Rollstuhl angewiesen.
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Vom ersten bis zum vierten Lebensjahr kämpften wir monatlich mit Fieberkrämpfen, wenn Lotta krank war. Nach sechs Fieberkrämpfen an einem Tag infolge eines grippalen Infekts entwickelten sich diese zu einer vollständigen Epilepsie. Ihre Anfälle sind jetzt mit einer zweimal täglichen Dosis von 2 ml Keppra gut unter Kontrolle.
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Lottas Schlafverhalten ist schlecht. In schlechten Nächten, die in der Regel mit Unwohlsein einhergehen, ist Lotta mitten in der Nacht 2-4 Stunden lang wach. An solchen Tagen isst sie in der Regel nicht gut, ist leicht frustriert und kann sich nicht selbst beschäftigen. Das ist eine große Belastung für uns als Eltern und für das Personal der Tagesstätte. An guten Tagen wacht Lotta nur einmal in der Nacht auf und kann wieder in den Schlaf gekuschelt werden. Sie isst gut und spielt bis zu 30 Minuten lang allein mit ihren Spielsachen und Büchern. Außerdem hört sie gerne Musik. Lotta muss ständig beaufsichtigt werden, da sie gerne alles Mögliche in den Mund nimmt und kein Gefahrenbewusstsein hat. Sie kann Türen öffnen und schnell und leise aus dem Haus verschwinden, daher müssen alle Türen verschlossen werden. Sie ist besessen von Wasser und Schuhen, oft in Kombination, so dass viele Schuhe in unserem Haus ertränkt wurden. Das Fernsehen ist die einzige Aktivität, bei der wir sie für eine Weile unbeaufsichtigt lassen können, z. B. wenn wir das Abendessen kochen. Sie hüpft dann dicht vor dem Fernseher herum, sehr zum Verdruss ihrer kleinen Schwester.
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Mit dem Älterwerden von Lotta haben sich ihr Schlaf und ihre Beweglichkeit allgemein verbessert, so dass wir kurze Spaziergänge in der Natur ohne Kinderwagen oder Rollstuhl unternehmen können. Allerdings machen ihr zunehmendes Gewicht und ihre Kraft andere Aufgaben wie das Wechseln der Windeln oder das Baden komplizierter. Lotta wird wahrscheinlich nie eigenständig aufdie Toilette gehen können, was das Reisen aufgrund fehlender sanitärer Einrichtungen schwierig macht. Ihre Größe bedeutet auch, dass sie jetzt an mehr Dinge herankommt, so dass Sicherheitsrisiken auf höhere Regale oder in sichere Schränke gestellt werden müssen. Je älter sie wird, desto mehr Gelenkprobleme befürchten wir aufgrund ihrer Hypotonie und hypermobilen Gelenke. Wir fürchten auch die Pubertät mit ihren hormonellen Veränderungen, Regelschmerzen und Stimmungsschwankungen, begleitet von Frustration aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich auszudrücken.
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Unser soziales Leben wird durch Lottas Krankheit stark beeinträchtigt. Es ist schwer für uns, Freunde bei ihnen zu Hause zu treffen oder neue Freunde zu finden, weil deren Wohnungen für Lotta keine sichere Umgebung sind. Lotta hat eine 3-jährige, gesunde Schwester, Ida, deren Leben ebenfalls durch Lottas Behinderung beeinträchtigt wird. Normalerweise teilen wir uns als Familie auf, um sicherzustellen, dass Ida altersgemäße soziale Aktivitäten entweder mit Mama oder Papa unternehmen kann.
Wenn wir uns eine Verbesserung in Lottas Leben aussuchen könnten, dann wäre es, dass sie die Fähigkeit zu sprechen erlangt. Je älter sie wird und je mehr Bedürfnisse sie hat, desto schwieriger wird es, zu erraten, was ihr Kummer bereitet. Ein einfacher Stein im Schuh kann ihr den Tag verderben, da sie es nicht ausdrücken kann.
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Derzeit wird Lotta mit Keppra gegen Epilepsie, Melatonin gegen Schlafprobleme, Movicol gegen Verdauungsprobleme und Memantine, einem Alzheimer-Medikament, gegen neuronale Überstimulation behandelt.
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Zu den nichtmedikamentösen Behandlungen gehören Fuß-Orthesen, Beschäftigungstherapie, Sprachtherapie und Reiten. Vor allem das Reiten hat ihre Haltung und die Stabilität des Oberkörpers deutlich verbessert.
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Wir hoffen, dass ein Medikament entwickelt wird, das ihr ein höheres Maß an Unabhängigkeit ermöglicht. Die Anhebung ihres Entwicklungsalters von derzeit 2 oder weniger auf das einer 5-Jährigen wäre schon ein großer Schritt für Lotta und unsere Familie.